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ÜberLebensgeschichten: “Wir hatten einen Onkel, der kein Jude war. Nur so haben wir überlebt” – Regina Steinitz und Ruth Malin

Die Zwillingsschwestern überlebten im Versteck in Berlin. In den Mai-Tagen 1945 vor 75 Jahren wurden sie befreit. Hier ist ihre ÜberLebensgeschichte.

Regina Steinitz und Ruth Malin wurden am 24. Oktober 1930 als Zwillingsschwesternin der Charité in Berlin geboren. Ihre Mutter Martha, geborene Anders, kam aus christlichem Haus und war zum Judentum übergetre ten, als sie den Fotografen Moritz Rajfeld heiratete. Von ihm hatte sie zwei Söhne: Theo und Benno. Rajfeld starb früh an Tuberkulose; an seine Stelle trat sein Mitarbeiter Simon Welner. Martha und er hei rateten jedoch nicht, so dass ihre Zwillingstöchter den Geburtsnamen der
Mut ter erhielten; sie erlebten eine geborgene Kindheit und gingen in die jüdische Mädchenvolksschule in der Auguststraße.

Im Jahr 1938 änderte sich die Situation grundlegend. Simon Welner gelang es, Papiere für die Einreise in die USA zu erhalten. Er siedelte nach Amerika über, in der Hoffnung, auch seine Familie nachkommen lassen zu können. Der Plan zerschlug sich jedoch, da 1939 der Krieg ausbrach und die Mutter bereits schwer an Tuberkulose erkrankt war. Der Sohn Theo bekam von der Gestapo die Aufforderung, Deutschland zu verlassen, woraufhin er mit einem Kindertransport nach England geschickt wurde. Im Januar 1940 starb die Mutter an ihrer schweren Erkrankung.

Regina und Ruth kamen in ein jüdisches Kinderheim in der Fehrbelliner Straße, wo sie eine liebevolle Betreuung erfuhren. Im Frühjahr 1942 wur de das Kinderheim aufgelöst; dank der Hartnäckigkeit der 12-jährigen Regina fanden die Zwillinge Aufnahme in einer jüdischen Gastfamilie, anstelle mit allen Kindern in das Auerbachsche Waisenhaus zu kommen. Die übrigen Kinder und das Personal des Heims wurden bald darauf deportiert und in Konzentrationslagern umgebracht.

1943 wurden auch Regina und Ruth mit ihrer Pflegefamilie von der Gestapo abgeholt und in ein Sammellager gebracht. Ihrem nicht-jüdischen Onkel gelang es jedoch, die beiden Mädchen zu befreien, da sie noch den Geburtsnamen der Mutter trugen. Regina lebte fortan bei einer Tante, Ruth bei der Großmutter mütterlicherseits. Die Versuche der Gestapo, die „rassische“ Identität der Zwillinge zu klären, führten zu keinem abschließenden Ergebnis mehr, wobei die zunehmenden Angriffe der Alliierten eine verzögernde Wirkung entfalteten.

1945 erlebten Regina und Ruth die Befreiung Berlins durch die Rote Armee. Auch ihr Bruder Benno, der nach Auschwitz gekom men war, überlebte und wurde in Bergen-Belsen befreit. Nach Kriegsende half Regina bei der Verpflegung von Verwundeten.
Anschließend betreute sie in einem neu aufgebauten jüdischen Kinderheim in Berlin-Niederschönhausen Kinder, die überlebt hatten und erlernte den Beruf der Erzieherin. Ruth arbeitete als Sprechstundenhilfe und besuchte die Dolmetscherschule. Der Versuch, zu ihrem Vater in die USA zu gelangen, scheiterte, da sie keine Einreisepapiere erhalten konnten. Erst 1956 sollten sie ihren Vater zum ersten Mal wiedersehen.

1948 wanderten beide nach Israel aus. Hier lebten sie zusammen im Kibbuz Buchenwald, später Netzer Sereni genannt. Hier lernte Regina ihren Mann Zwi Steinitz kennen. Sie heirateten nach einem halben Jahr. 1951 verließ das Paar den Kibbuz. Regina wurde Kinderkrankenschwester und erwarb das Diplom an der Schwesternschule. Anschließend arbeitete sie dort als Lehrerin. 1974 wurde ihr Mann als Experte für Blumenexport nach Europa entsandt. Ein Jahr lebten sie in Deutschland, drei Jahre in Holland. Bei der Rückkehr nach Israel übernahm Regina die Leitung eines staatlichen Gesundheitszentrums.

Sie und ihr Mann haben zwei Kinder und zwei Enkelkinder. Ruth lernte ihren Mann Simcha Malin, einen Überlebender aus Łódź, ebenfalls im Kibbuz kennen. Sie heirateten 1952. Drei Jahre zuvor hatte Ruth den Kibbuz verlassen, um den Beruf der Säuglingsschwester zu erlernen. Bis zur Geburt ihres ersten Kindes arbeitete sie in den Spitälern der Immigrationslager für Neueinwanderer. Später eröffnete sie einen Kindergarten und studierte parallel dazu Englisch an der Open University Tel Aviv. Nach ihrem Abschluss arbeitete sie viele Jahre als Englischlehrerin. Ruth und ihr Mann haben drei Kinder und zwei Enkelkinder.

Regina und Ruth erhielten früh psychotherapeutische Hilfe. Zu Amcha kamen sie jedoch erst 2012 – Ruth nach dem Hirnschlag ihres Mannes, Regina als sie begann, ihre Geschichte in Buchform aufzuarbeiten. In den letzten zehn Jahren haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, über ihre Erlebnisse zu berichten, um gegen das Vergessen, gegen den Antisemitismus und den Faschismus anzukämpfen. Hierfür unternahmen sie regelmäßig Reisen nach Deutschland.

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