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Zum 9. November: Der Anfang vom Ende

Ein Beitrag von Lukas Welz

„Ich weiß noch, dass wir sehr früh aufstanden und zu dem großen Bahnhof fuhren. Ich erinnere mich, wie ich die großen Stufen zum Bahnsteig hinaufkletterte – danach weiß ich von nichts mehr. Ich kann mich nicht einmal mehr an den letzten Abschied von meiner Mutter oder an unsere letzte Umarmung erinnern.“
So erinnert sich George Shefi, der am 29. November 1931 in Berlin geboren wurde, an den Tag, an dem er Abschied nehmen musste: von Berlin, seiner Familie, seinem früheren Leben. Es war die Pogromnacht des 9. November 1938, heute vor 80 Jahren, als seine Mutter beschlossen hatte, ihn mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Im Juli 1939 verließ George Shefi Berlin, nur einen Monat vor Beginn des Krieges und die Rettung nicht mehr möglich gewesen wäre.

Es war das letzte Mal, dass er seine Mutter sah. Sie wurde zusammen mit ihrer Schwester 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Er überlebte in England und konnte 1945 in die USA, 1948 nach Israel auswandern, wo er heute bei AMCHA in Jerusalem Hilfe findet. 1957 erhielt er per Zufall Informationen über den Aufenthaltsort seines Vaters, der nach Australien ausgewandert war. 1961 nahm er Kontakt zu ihm auf und lernte ihn 1965 persönlich kennen. So erhielt er mit knapp 35 Jahren plötzlich einen Vater, eine Halbschwester und eine Stiefmutter.

Der 9. November ist für viele mitteleuropäische Jüdinnen und Juden Symbol des Anfangs vom Ende. Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt waren bereits Teil ihres Alltags. Doch die brennenden Synagogen, Zentren jüdischen Lebens, wurden zum Symbol der totalen Vernichtungsphantasien Deutschlands.

George Shefi hat sich, wie viele andere Jüdinnen und Juden aus Deutschland, in Israel eine neue Heimat geschaffen, auf die sie zu Recht stolz sind. Sprache und Kultur ist noch in vielen von ihnen lebendig, doch sie sind Israelis. Bei AMCHA finden sie einen geschützten Raum, der ihnen ermöglicht, an die Vergangenheit anzuknüpfen.

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